Das systemische Sozialmanagement bietet eine innovative und ganzheitliche Herangehensweise an die Steuerung und Entwicklung sozialer Organisationen. Es basiert auf den Grundannahmen der Systemtheorie und betont die Bedeutung von Selbstorganisation, Kommunikation und struktureller Koppelung innerhalb und außerhalb der Organisation. Diese Prinzipien ermöglichen es, die Komplexität und Dynamik sozialer Systeme besser zu verstehen und zu steuern
Autopoiese: Selbstorganisation und Abgrenzung
Das Konzept der Autopoiese, entwickelt von Francisco Varela und Humberto Maturana, beschreibt die Fähigkeit lebender Systeme, sich selbst zu produzieren und aufrechtzuerhalten. Diese Selbstorganisation erfolgt durch die Abgrenzung von der Umwelt und die Aufrechterhaltung einer internen Struktur. Autopoietische Systeme sind operational geschlossen, jedoch energetisch offen, was bedeutet, dass sie Energie von außen benötigen, aber ihre internen Prozesse unabhängig von externen Einflüssen regulieren.
Anwendung auf soziale Organisationen
Soziale Organisationen können als autopoietische Systeme betrachtet werden. Ihre Elemente sind nicht die physischen Komponenten wie Abteilungen oder Mitarbeitende, sondern die Kommunikationen und Entscheidungen, die innerhalb der Organisation stattfinden. Diese Entscheidungen und Interaktionen formen die Struktur und Funktionsweise der Organisation.
Ebenen einer Organisation
In der Systemtheorie werden drei Ebenen einer Organisation unterschieden:
- Innerer Bereich: Dies umfasst die internen Kommunikationen und Entscheidungen, die den Kern der Organisation bilden.
- Innere Umwelt: Hierzu zählen die Abteilungen und Mitarbeitenden, die an die Organisation strukturell gekoppelt sind.
- Äußere Umwelt: Diese besteht aus allen externen Akteuren und Faktoren, die für die Organisation relevant sind, wie Netzwerkpartner, gesetzliche Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Normen.
Konsequenzen der Autopoiese für Organisationen
Die Anwendung des Autopoiese-Prinzips auf Organisationen führt zu mehreren wichtigen Erkenntnissen:
- Selbstorganisation und Autonomie: Mitarbeitende und Abteilungen sind als eigenständige, autopoietische Systeme zu betrachten, die sich an die Organisation koppeln. Entscheidungen und Handlungen müssen daher die Autonomie und Selbstorganisation dieser Einheiten respektieren.
- Kommunikation und Entscheidungsprämissen: Die Kommunikation innerhalb der Organisation ist entscheidend für deren Funktionieren. Entscheidungsprämissen wie Programme, Personen und Kommunikationswege lenken den Fluss der Entscheidungen und Interaktionen.
- Beobachtung und Wahrnehmung: Mitarbeitende fungieren als Beobachter sowohl der internen als auch der externen Umwelt der Organisation. Ihre subjektive Wahrnehmung und Interpretation von Informationen beeinflusst die Entscheidungsprozesse innerhalb der Organisation.
Operationale Geschlossenheit und strukturelle Koppelung
Organisationen müssen eine Balance zwischen operativer Geschlossenheit und struktureller Koppelung finden. Operationale Geschlossenheit bedeutet, dass die internen Prozesse und Ziele der Organisation klar definiert und stabil sind. Gleichzeitig muss die Organisation offen für externe Einflüsse und Veränderungen sein, um sich an ihre Umwelt anzupassen und zu überleben.
Steuerung durch Kontextgestaltung
Ein zentraler Ansatz im systemischen Sozialmanagement ist die Kontextsteuerung. Diese Methode zielt darauf ab, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Mitarbeitende effektiver und eigenverantwortlicher arbeiten können. Dies kann durch klare Kommunikationswege, transparente Entscheidungsprozesse und eine wertschätzende Fehlerkultur erreicht werden.
Entscheidbare und unentscheidbare Entscheidungsprämissen
Im systemischen Sozialmanagement spielen Entscheidungsprämissen eine zentrale Rolle bei der Steuerung und Strukturierung von Organisationen. Diese Prämissen bestimmen den Rahmen, innerhalb dessen Entscheidungen getroffen werden können, und beeinflussen somit maßgeblich die interne Dynamik und Effektivität der Organisation.
Entscheidbare Entscheidungsprämissen
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Programme: Hierbei handelt es sich um konkrete Handlungsanweisungen, Richtlinien und Normen, die festlegen, wie bestimmte Aufgaben und Prozesse durchgeführt werden sollen. Beispiele sind Dienstanweisungen, Qualitätshandbücher und Verfahrensrichtlinien. Diese Programme geben den Mitarbeitenden klare Vorgaben und sichern eine einheitliche Vorgehensweise innerhalb der Organisation.
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Personen: Diese Prämisse umfasst die Kriterien und Prozesse, nach denen Mitarbeitende eingestellt und befördert werden. Die Auswahl von Personen nach spezifischen Qualifikationen, Kompetenzen und Werten trägt dazu bei, dass die Organisation ihre Ziele effektiv verfolgen kann.
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Kommunikationswege: Hierbei geht es darum, wer mit wem kommunizieren darf und in welcher Reihenfolge. Klare Kommunikationsstrukturen und -kanäle gewährleisten, dass Informationen effizient und zielgerichtet innerhalb der Organisation fließen und Entscheidungen auf einer soliden Informationsbasis getroffen werden können.
Unentscheidbare Entscheidungsprämissen
- Organisationskultur: Die Organisationskultur umfasst die Werte, Normen, Überzeugungen und informellen Strukturen, die sich im Laufe der Zeit innerhalb einer Organisation entwickeln. Sie ist nicht direkt steuerbar, da sie das Ergebnis eines selbstorganisatorischen Prozesses ist. Die Kultur beeinflusst jedoch maßgeblich das Verhalten und die Einstellungen der Mitarbeitenden und somit auch die Entscheidungsfindung.
Metapher: Die vier Steine im Flussbett
Die Entscheidungsprämissen einer Organisation lassen sich bildhaft mit einem Flussbett vergleichen, das den Fluss der Entscheidungen lenkt und formt.
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Der Stein des Programms liegt fest verankert im Flussbett und sorgt dafür, dass der Wasserfluss – die alltäglichen Handlungen und Prozesse – in geordneten Bahnen verläuft. Er gibt den Mitarbeitenden Sicherheit und Orientierung durch klare Vorgaben und Richtlinien.
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Der Stein der Personen repräsentiert die festen Punkte im Flussbett, an denen neue Wasserströme – neue Mitarbeitende und ihre Ideen – eingebracht werden. Diese Punkte sind entscheidend für die Vitalität und Anpassungsfähigkeit des Flusses, da sie frisches Wasser und neue Impulse einbringen.
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Der Stein der Kommunikationswege fungiert als Verbindungsbrücke zwischen den verschiedenen Bereichen des Flusses. Er stellt sicher, dass das Wasser – die Informationen – effizient und zielgerichtet von einem Bereich des Flusses zum anderen gelangt, ohne zu versickern oder ins Stocken zu geraten.
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Der Stein der Organisationskultur ist wie der Grundstein des Flussbetts, der im Verborgenen liegt und das Fundament bildet. Er ist nicht sichtbar, aber dennoch von entscheidender Bedeutung, da er die grundlegende Struktur und Stabilität des Flusses gewährleistet. Seine Einflüsse sind tief verwurzelt und prägen die Form und Richtung des gesamten Flussverlaufs.
Diese vier Steine – Programme, Personen, Kommunikationswege und Organisationskultur – bilden gemeinsam das Flussbett, das den Fluss der Entscheidungen innerhalb einer Organisation lenkt. Durch ihre spezifischen Rollen und Funktionen ermöglichen sie es der Organisation, ihre Ziele zu erreichen und auf Veränderungen in der Umwelt flexibel zu reagieren.